“Ich habe sogar von Schlagstöcken und Stichwaffen gehört”


“Happy Slapping”. Mit diesem vielsagenden Begriff werden gewalthaltige Videos auf Handys assoziiert. Wörtlich übersetzt bedeutet er: „Fröhliches Schlagen“ – Was genau verbirgt sich dahinter? Dieser Frage ging Anne-Kathrin Lange in ihrer Diplomarbeit über die neue, kritische Medienerscheinung auf den Grund. Um Informationen aus erster Hand zu gewinnen, befragte sie Kinder und Jugendliche in Berlin Kreuzberg, Neukölln und Schöneberg zu deren Erfahrungen mit Happy Slapping. Auch der VDM Verlag fand Interesse an diesem Thema und veröffentlichte die fertige Arbeit als Buch: „Happy Slapping – Zu Nutzung und Entstehung von Handy Gewaltvideos“ lautet der Titel. Im Gespräch mit medienbewusst.de erzählt die Autorin von den Ergebnissen Ihrer Arbeit.

Frau Lange, welche Rolle spielen Mobiltelefone im Zusammenhang mit Happy Slapping?

Happy Slapping ist eine Form der Gewalt, bei der Jugendliche andere Personen teilweise wahllos angreifen und verprügeln und das mit dem Mobiltelefon aufzeichnen. Das Ganze wird mit der Handykamera gefilmt, um es für andere Jugendliche zugänglich zu machen. Die Gewaltvideos werden dann entweder per Handy weiter geschickt oder im Internet hochgeladen und verbreitet.

Welchen Grad erreicht die Gewalt, die in diesen Handy-Videos dargestellt wird?

Mir wurde von relativ harmlosen Dingen wie einer Ohrfeige erzählt, über richtig brutale Schlägereien bis hin zum Einsatz von Waffen. Ich habe sogar von Schlagstöcken und Stichwaffen gehört.

Gibt es eine bestimmte Altersgruppe in der Happy Slapping besonders verbreitet ist?

Die Jugendlichen, die ich interviewt habe, waren zwischen 10 und 18 Jahren alt. Nach meiner Erfahrung haben die meisten Kinder und Jugendlichen ab 8 bis 10 Jahren zumindest schon mal von Happy Slapping gehört.

Gibt es einen Unterschied zwischen Jungen und Mädchen, was die Nutzung von Gewaltvideos auf Mobiltelefonen angeht?

Studien belegen, dass Jungen Gewaltvideos auf Mobiltelefonen häufiger oder verstärkter nutzen als Mädchen. Aber unter den Mädchen, mit denen ich gesprochen habe, waren drei, welche auch schon selbst gefilmt haben und an Massenschlägereien beteiligt waren.

Gibt es bestimmte Motive für Happy Slapping?

Soziale Motive und Identitätsmotive bilden im Grunde die Basis. Dabei geht es um Interaktion im Freundeskreis und das Zugehörigkeitsgefühl in der Gruppe. Diese Handy-Videos werden gemeinschaftlich angeschaut und von einem zum anderen weitergegeben. Natürlich möchten Jugendliche dabei nicht ausgegrenzt werden, sie wollen mitreden. Dann geht es tatsächlich auch um den Versuch, soziale Anerkennung zu erhalten. Man ist nicht derjenige, der geschlagen wurde, sondern derjenige, der geschlagen hat und demonstriert somit Macht und Stärke.

Ein weiterer, spannender Aspekt ist die Abgrenzung von anderen Gruppen mit Hilfe solcher Videos. So wurde beispielsweise eine Massenschlägerei zweier verfeindeter Gangs in Berlin Kreuzberg gefilmt und die Videoaufnahme als eine Art Werbefilm ins Internet gestellt. Ganz klar, um das Gruppenzugehörigkeitsgefühl zu stärken und um zu zeigen: „Wir sind DIE Gang in Kreuzberg und wir haben dies und jenes gemacht.“

Pure Neugier gilt als weiterer Grund, diese Videos zu nutzen. Hier kommt ein Informationsmotiv ins Spiel, das Streitereien und Schlägereien eine völlig neue Qualität verleiht. Man kann jetzt nämlich beweisen, was passiert ist. Es ist also eine Art Dokumentation für Personen, die nicht dabei waren. Es wird nicht mehr nur erzählt: „Hey, ich hab dem gestern richtig eine reingehauen.“ Sondern man kann es tatsächlich per Video beweisen. Und mir wurde gesagt, man kann von den Videos lernen. Man kann also schauen, was man nächstes mal besser machen kann…

…in der nächsten Schlägerei?

Ja, genau. Unterhaltungsmotive standen in den Aussagen der Jugendlichen ebenfalls sehr weit oben. Viele gaben an, Gewaltvideos zu schauen, wenn ihnen gerade langweilig ist oder sie schlechte Laune haben und Aggressionen abbauen möchten. Dabei sind besonders brutale und actionreiche Videos am beliebtesten. Das Ausprobieren neuer Technik zählt ebenfalls zu den Unterhaltungsmotiven. Ein Jugendlicher hat ein neues Handy, möchte testen, was das Telefon alles kann und ein Bekannter schickt ihm unter anderem solche Videos.

Machen sich Jugendliche, die so ein Video auf dem Handy haben, eigentlich strafbar?

Der bloße Besitz von Gewaltdarstellungen und Pornographie ist an sich nicht straf- und ordnungsrechtlich verboten, allerdings ist es nach § 131 StGB untersagt, brutale Gewaltdarstellungen vorrätig zu halten, öffentlich vorzuführen oder Minderjährigen zugänglich zu machen. Und genau das ist ja der wesentliche Kern der Happy Slapping Videos. Wenn man erwischt wird und so ein Video einfach nur auf dem Mobiltelefon hat, dürfte eigentlich nichts passieren, besonders wenn man unter 14 Jahre alt ist. Aber sobald man solche Videos tauscht und anderen zeigt, ist es eigentlich eine Straftat.

Was würden Sie besorgten Eltern zum Thema Happy Slapping raten?

Ich finde es schwierig, Eltern etwas zu raten, weil dieses Thema sehr komplex ist. Happy Slapping Videos haben auch eine enge Verbindung zum Internet, denn die Gewaltvideos werden nicht nur von Handy zu Handy geschickt, sondern auch ins Internet geladen und jeder kann sie sich von einem ganz anderen Ort wieder herunterladen.

Ich würde Eltern empfehlen, sich mit ihren Kindern hinzusetzen und sich in Ruhe über dieses Thema zu unterhalten. Die Kinder sollten sich in die Opfer hineinversetzen und die Folgen realisieren. Auf der anderen Seite halte ich es nicht für sinnvoll, Kindern Mobiltelefone mit technisch hochwertiger Kamera zu verbieten.

medienbewusst.de bedankt sich bei Anne-Kathrin Lange für das Interview und wünscht ihr weiterhin viel Erfolg.

Julia Harries

Bildquelle:
zur Verfügung gestellt v.
Anne-Kathrin Lange