“Das Lügenfernsehen” – Ein Kommentar


Am vergangenen Donnerstag zeigte Das Erste eine Panorama-Dokumentation über das vermeintliche “Lügenfernsehen” der Privatsender. Angeprangert wurde vor allem, dass dem Zuschauer immer weniger die Möglichkeit gegeben werde, bewusst zwischen Realität und Fiktion zu unterscheiden. Gemeint sind sogenannte “Scripted Reality”-Sendungen wie „Mitten im Leben“ (RTL) oder „We are Family“ (ProSieben), die bei vielen privaten Sendern mittlerweile die gesamte Nachmittagsschiene ausmachen.

Mehr oder weniger talentierte Laiendarsteller geben in mehr oder weniger überzeugenden Geschichten vermeintliche Einblicke in ihr Privatleben. So wird aus dem eigentlichen Single-Mann ohne Kind via Drehbuch schnell mal eben der streitbare Familienvater mit pubertierendem Sohn. Danach gefragt, warum man denn nicht einfach den Alltag der Menschen begleiten würde, brachte es eine Mutter, die mit ihrer Tochter in einem entsprechenden Format mitgewirkt hatte, auf den Punkt mit den Worten: “Das stinknormale Leben will doch keiner sehen. Das würde den Zuschauer nur langweilen”.

Die Kritik der Panorama-Redaktion betraf im Besonderen die eher dürftige Kennzeichnung der Formate als schlicht “frei erfunden”. Erste Stimmen kurz nach der Ausstrahlung monierten dabei allerdings, man solle doch viel stärker auf die Medienkompetenzen der Zuschauer vertrauen. Sicherlich: nach spätestens fünf Minuten sollte auch dem letzten Erwachsenen klar geworden sein, dass das, was da grade passiert, nicht echt sein kann. Sei es aufgrund der wunderlich realitätsfernen Dialoge, sei es aufgrund der meist schlechten schauspielerischen Leistungen.

Problematisch werden diese Formate allerdings, wenn sie von Kindern und Jugendlichen geschaut werden, denen häufig noch die Fähigkeit abgeht, genau zu differenzieren. Weder vor, noch während der Sendungen wird in irgendeiner Weise darauf verwiesen, dass es sich dabei um oft frei erfundene Geschichten handelt. Erst am Ende – vom Zuschauer oft nicht wirklich wahrnehmbar – taucht mit Beginn des Abspanns ein entsprechender Schriftzug auf.

Doch sollten man wirklich so unvorsichtig mit der Grenzziehung zwischen Realität und Fiktion umgehen, zu einer Uhrzeit, in der Kinder und Jugendliche von der Schule nach Hause kommen und oft genug als erstes den Fernseher anschalten, um zu entspannen? Und war es nicht gerade die Problematik des Verwischens zwischen Realität und Fiktion, die schon häufiger im Bereich von Computer- und Videospielen zu intensiven Diskussionen führte? Und warum überhaupt das Risiko eingehen, dass es Zuschauer gibt, die die Geschichten am TV-Gerät für bare Münze nehmen? Sollten Jugendschutz-Erwägungen nicht über wirtschaftlichen Erwägungen seitens der TV-Sender stehen?

Eines ist klar: solange die Privatsender (allen voran RTL) mit “Scripted Reality” weiter gute Quoten machen, ist ein Ende dieser Formate nicht in Sicht. Doch alles hat seine Zeit. Talkshows, Gerichtsshows, Call-In-Formate – man muss nur lange genug warten. Und in der Zwischenzeit: einfach rausgehen und das eigene Leben genießen. Das ist oft viel spannender.

Fabian Zeitler

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