„Früher war es die Schallplatte, gestern die CD und heute ist es die MP3“


Der thüringische Landesvorsitzende für den Verband Deutscher Schulmusiker (VDS) Martin Müller-Schmied über den Musikunterricht, seine Akzeptanz und Eignung für die Integration Neuer Medien. Herr Müller-Schmied ist Lehrer für Musik und Informatik am Gustav Freytag Gymnasium in Gotha und verlegt Musiklehrbücher.

Das nächst ungeliebte Fach nach Religion ist für deutsche Schüler das Fach Musik, obwohl ihnen Musik außerhalb der Schule fast das Liebste ist“, schrieb der Erziehungswissenschaftler Peter Struck vor circa zehn Jahren. Wie schätzen Sie heute die Beliebtheit des Fachs Musik thüringenweit ein, Herr Müller-Schmied?

In Thüringen wurden dazu keine empirischen Erhebungen durchgeführt. Interessant wäre es. Also machen Sie das mal! (lacht) Da wäre ich sehr vorsichtig. Es gibt dort sicher ganz unterschiedliche Wahrnehmungen. An einigen Schulen ist das Fach Musik bei Schülern sehr beliebt; an anderen ist es weniger beliebt. Aber ich glaube nicht, dass es nach Religion das Zweitungeliebteste ist. Es sieht sehr viel günstiger aus in Thüringen, denke ich.

Zehn Jahre ist das Zitat Strucks mittlerweile alt. Aktueller zeigt sich eine Aussage von Hans Bäßler. Der Ehrenvorsitzende des VDS erklärte, dass Schüler das Fach Musik ablehnen, weil sie selbst mit ihrer eigenen musikalischen Sozialisation nicht im Unterricht vorkommen. Worauf spielte er damit an?

Das ist klar, denn der Musikunterricht beschäftigt sich in erster Linie nicht mit dem, was Schüler gerne hören. Allerdings gehen hier die Meinungen weit auseinander, was sollte Musikunterricht leisten. Einige Lehrer spielen Videoclips vor und machen die aktuellste Musik. Ich bin der Meinung, Musikunterricht muss nicht unbedingt Schülern nachlaufen und deren Hörgewohnheiten bedienen. Mit ihren Hörgewohnheiten umzugehen, wäre wiederum eine vernünftige Sache. Musikunterricht sollte aber auch den Schülern Dinge
bringen, zu denen sie sonst keinen Zugang hätten und das funktioniert auch.

Dinge ohne Zugang? Heißt das konkret, dass Schüler sich zum Beispiel mit Klassischer Musik beschäftigen sollten anstatt mit der Musik, die sie privat hören?

Ja. Es kann gefährlich sein, sich mit der Musik auseinanderzusetzen, die Schüler privat hören. Ihre Musik könnte dabei zerredet werden. Man muss natürlich offen sein für das, was sie interessiert. Wenn das nicht der Fall wäre, würde das Fach sein Ziel verfehlen. Aber Schüler akzeptieren, wenn man ihre Musik nicht hört.

Kommen wir von Schülern zu Schulreformern. Nach PISA fiel vermehrt der Begriff Legitimationskrise im Zusammenhang mit musischen Unterrichtsfächern. War der Musikunterricht in Thüringen von einschränkenden Maßnahmen betroffen?

Glücklicherweise gibt es hier nicht solche Tendenzen. Trotzdem sollte man immer Obacht geben. Vor anderthalb Jahren plante eine Kommission, den Musik- und Kunstunterricht in der Sekundarstufe I um mehr als 50 Prozent zu kürzen. Der Vorschlag der Kommission, der fast ausschließlich Naturwissenschaftler angehörten, konnte jedoch durch Intervention der Bauhaus-Universität und der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar abgewendet werden. So haben wir in Thüringen mit durchgehend zwei Stunden Musikunterricht fast einen Idealzustand in Deutschland. In anderen Bundesländern haben Schüler Epochalunterricht. Ein halbes Jahr Unterricht; ein halbes Jahr keinen Unterricht. Das ist der Tod für ein Fach, in dem man Fähigkeiten entwickeln muss.

Welche Motive trieben die Kommission zu diesem drastischen Vorschlag?

Zum einen wollte man mehr in Richtung Sprachen und Naturwissenschaften gehen. Zum anderen spielten finanzielle Gründe eine Rolle. Die Musiklehrerausbildung ist sehr teuer und der Vorschlag hätte zu einem starken Überangebot an Musiklehrern geführt.

Unabhängig des von Ihnen skizzierten Idealzustands in Thüringen, stellt andernorts die Vermittlung von Medienkompetenz einen Weg für den Musikunterricht aus seiner Legitimationskrise dar. Warum bietet sich das Fach für die Integration Neuer Medien an?

Früher war es die Schallplatte, gestern die CD und heute ist es die MP3. Die rasante Entwicklung der Medien muss man einfach mitmachen. Ebenso wenig darf der Musikunterricht um Komprimierung und Digitalisierung einen Bogen machen. Zudem bringen Schüler oft Vorwissen auf dem Gebiet ein und interessieren sich daher auch stärker dafür. Dadurch gewinnt das Fach deutlich an Akzeptanz.

Musik dient mehr der musischen Ausbildung als dem harten Vermitteln von Fakten. Bietet es sich daher nicht besonders für den kreativen Einsatz von Medien an?

Ja. Zum Beispiel gibt es in Thüringen kein Zentralabitur im Fach Musik mit Ausnahme der beiden Musikgymnasien. Das ist ein großer Vorteil, so sind wir doch variabler in unseren Möglichkeiten, als das in Mathe, Naturwissenschaften oder Fremdsprachen der Fall ist.

Vorher äußerten Sie sich kritisch über Musiklehrer, die mit Videoclips versuchen würden, Schülern nachzulaufen. Wann setzen Sie selbst Neue Medien im Fach Musik ein?

Zur Unterstützung des Lehrauftrags arbeite ich ständig mit Neuen Medien. In meinem Musikraum steht ein Rechner und unter der Decke hängt ein Beamer. Man hat Bild, man hat Ton. Das wissen Schüler zu schätzen. Die nächste Sache ist die Medienarbeit der Schüler selbst. Wir haben sie ab der fünften Klasse und von da an nehmen wir sie in die Pflicht. Mit jedem Jahr werden die Aufgaben anspruchsvoller. So lernen sie, Audio in PowerPoint einzubinden, mit Audacity zu arbeiten, bevor sie Hörspiele und Filmszenen vertonen. Je besser Schüler die Technik, sprich Mirkofon und Software, beherrschen, desto kreativer können sie mit ihr umgehen.

Apropos Technik. Ist sie mittlerweile ausreichend an Schulen vorhanden?

Ja. Doch vor gar nicht so langer Zeit war das nicht selbstverständlich. Kopfhörer und Soundkarten fehlten regelmäßig, aber heute steckt in jedem Rechner eine Karte. Außerdem gibt es jede Menge Software, die man gratis nutzen kann wie zum Beispiel Audacity. Die Administration von Schulnetzen bereitet jedoch noch Schwierigkeiten.

Der letzte Punkt ruft ja quasi Ihre Fächerkombination aus Musik und Informatik auf den Plan. Welche Anforderung an das Lehrpersonal stellt der Einsatz Neuer Medien?

Lehrer sollten einigermaßen fit am Rechner sein. Es müsste entsprechendes Material und Fortbildungen geben. Das wäre relativ leicht zu realisieren. Eher beobachte ich mit Sorge, dass sich einige Lehrer da sehr um Fortbildung bemühen, während eine große Anzahl sich da überhaupt nicht kümmert.

Welche Gründe könnte es dafür geben? Etwa der Widerstand gegen das Neue der Neuen Medien?

Ja, vielleicht. Aber hart gesehen, ist es einfach Arbeit. Eine Fortbildung zu besuchen und Lehrmaterial vorzubereiten, kostet Zeit und Aufwand. In Thüringen wird die Lehrerschaft immer älter, junge Lehrer rücken kaum nach. So traurig es auch ist, es gibt genügend Lehrer, die zählen die Jahre bis zur Rente.

Seit 2005 wurden in Baden-Württemberg mehr als 1500 Musiklehrer speziell im Einsatz neuer Medien fortgebildet. Das Thüringische Institut für Lehrerfortbildung (ThILM) bietet bisher keine derartige Medienoffensive für das Fach Musik an. Wäre das eventuell eine Antwort auf das beschriebene Altersdilemma?

Das wäre schon sehr, sehr zu begrüßen. Denn dort, wo Musiklehrer keinen Zugang zum Computer finden, wird so was auch nicht stattfinden. Eine Initiative, die über das Land kommt, verpflichtet Lehrer, bestimmte Module zu belegen. Auf diesem Weg würde man doch einige mehr erreichen.

Was wäre nötig, damit die ThILM ein solches Angebot erstellt?

Irgendwo müsste klar sein, dass die neuen Medien in den Musikunterricht gehören. Als wichtigste Voraussetzung müsste es Gegenstand des neuen Lehrplans werden, der 2012 kommt. Ohne dem wird sich da nichts bewegen.

medienbewusst.de bedankt sich bei Martin Müller-Schmied für das Interview und wünscht
weiterhin viel Erfolg.

Michael Stein