Wikipedia-Autoren als aller Welt diskutieren ab heute in der israelischen Stadt Haifa über die Zukunft des Nachschlagewerks und beraten über die künftige Sicherstellung inhaltlich korrekter Einträge. Wie aber kann das Bewusstsein für Social Software, wie Wikis, Blogs und E-Portfolios, schon früh geschult und ein Umgang mit diesen in den Lernalltag integriert werden, um die gewissenhafte und richtige Anwendung derselben auch in Zukunft gewährleisten zu können? Als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet Kommunikationswissenschaft an der TU Ilmenau, forscht Marcel Kirchner zum Einsatz von Social Software im Bildungskontext von Schulen, Hochschulen und Unternehmen und spricht mit medienbewusst.de unter anderem über deren Nutzen für Schüler und Unterricht.
Herr Kirchner, wie funktioniert Lernen mit Social Software?
Zwei Punkte spielen eine wichtige Rolle: Vernetzung und Öffentlichkeit. Ich schrieb z.B. zusammen mit meinem Kommilitonen Thomas Bernhardt einen Blog während meiner Diplomarbeit. Blogger mit ähnlicher Materie wurden auf uns aufmerksam, kommentierten und gaben uns hilfreiche Tipps, während wir auch von anderen Blogs in dem entstehenden Netzwerk lernten. Aber das ist nur ein Anwendungskontext. Das Fachwort hierzu ist Konnektivismus.
Aber Social Software nützt nicht nur beim Schreiben von Diplomarbeiten. Welche Kompetenzen fördert das Lernen mit Social Software, auch im Hinblick auf jüngere Nutzer?
Vor allem die Medienkompetenz beim Umgang mit dem Internet. Wie schreibe ich Blogs? Wie binde ich ein vorhandenes Video oder eine Grafik ein, setze sie in Bezug zum Geschriebenen oder produziere und gestalte diese Medien selbst passend zum Inhalt. Es geht aber nicht nur um Blogs. Auch der Umgang mit anderen Webanwendungen kann erlernt werden. Ich denke da an Wikipedia als ständig „wachsendes“ Nachschlagewerk, an dem sich jeder beteiligen kann z.B. durch Artikel, die gemeinsam im Schulunterricht erstellt werden, oder an Homepage-Tools wie Jimdo und Protopage, mit denen ich eine fertige, multimediale Webseite z.B. zu einem Literatur- oder Geschichts-Thema sehr einfach nach meinen Wünschen zusammenstellen kann.
Was konkret können Schüler tun, wenn sie in die Welt der Social Software eintauchen wollten?
Sinnvoll für den Anfang sind zum Beispiel Gruppenblogs. Teilweise gibt es das schon in der Grundschule. Jeder Schüler hat dann einen Zugang und der Lehrer kann diese entsprechend kontrollieren. Dann können alle Schüler Unterrichtsstoff oder kreative Inhalte bloggen. Die bekannteste Software hierfür ist WordPress. Die Fortgeschrittenen können sich auch an Klassen-Wikis versuchen. Darin könnte man Klassenfahrten vorbereiten oder Lektüresammlungen zusammenstellen. Weniger empfehlenswert ist Media-Wiki für den Einstieg, da es zu kompliziert ist. Besser wäre z.B. Wikispaces, weil man über einen Editor direkt Einstellungen vornehmen und in ein Formular schreiben kann, ohne dass man eine Wiki-Sprache erlernen muss. Spannend finde ich auch Podcasts, also Audio- oder Videobeiträge, beispielsweise für den Englischunterricht zum Lernen von Vokabeln.
Worauf müssen Schüler achten, wenn sie Social Software verwenden wollen?
Die Öffentlichkeit ist neben den oben beschriebenen Vorteilen auch gleichzeitig das größte Problem. Es kann wirklich jeder lesen, was ich schreibe und einstelle. Ich muss also den Schülern gleich am Anfang vermitteln, dass beispielsweise freizügige Partybilder, Beleidigungen oder gegenseitiges Mobbing im Netz, wie auch im täglichen Leben, tabu sind. Der Lehrer hat den Auftrag, die Schüler darüber von Beginn an aufzuklären. Konstruktiver Umgang und Feedback sind hier besonders wichtig.
Sind Schüler überhaupt selbstständig genug, um zu bloggen?
Ja. Spannende Klassenfahrten zu dokumentieren, klappt zum Beispiel gut. Sonst würde ich Blogs eher in den höheren Stufen empfehlen. Aber ungesteuert funktioniert der Einsatz von Social Software oft nicht, die Schüler brauchen Impulse. Zum Beispiel kann man sie regelmäßig Protokolle oder Reflexionen des Unterrichts erstellen lassen oder man holt einen Experten, der die Blogs kritisch kommentiert.
medienbewusst.de bedankt sich bei Marcel Kirchner für das Interview und wünscht viel Erfolg für die Zukunft.
Joel Stoy
Bildquellen:
Porträtfoto zur Verf. gestellt v. Marcel Kirchner
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