Nicht selten kommt es vor, dass Eltern sich über unerwartete Geldforderungen wundern, die ihre Kinder bewusst oder unbewusst verursacht haben. Vertragsabschlüsse Minderjähriger im Internet sind ein gängiges Thema, die Rechtsgrundlage dazu meist eindeutig, das Handeln vieler Eltern in der gegebenen Situation jedoch nicht. medienbewusst.de hat Rechtsanwalt Henning Lüdecke, Spezialist auf den Gebieten IT-Recht und Datenschutz, aus der Kanzlei Feil Rechtsanwälte in Hannover zu diesem Thema befragt.
Herr Lüdecke, Sie haben sich bereits mit Vertragsabschlüssen Minderjähriger im Internet beschäftigt. Wie oft hatten Sie selbst bisher mit diesem Thema zu tun?
Eine genaue Zahl kann ich hierzu kaum nennen. Das Thema Minderjährige ist eigentlich ständig präsent. Ich selbst habe bereits eine Vielzahl von Angelegenheiten mit Minderjährigenbezug bearbeitet.
Würden Sie die Möglichkeit von Vertragsabschlüssen Minderjähriger im Internet als Gefahr einstufen? Wenn ja, wie hoch schätzen Sie diese Gefahr tatsächlich ein?
Ganz klar würde ich diese Möglichkeit als Gefahr einstufen. Zum Einen ist das Internet ein sehr unpersönlicher Rechtsraum.
Die Vertragspartner sehen einander in der Regel nie. Ein Verkäufer z.B. kann nur durch umständliche Verfahren sicherstellen, ob sein Kunde tatsächlich volljährig ist. Es ist daher für den Verkäufer wirtschaftlich einfacher jedem Kunden, ohne Nachweis seiner Volljährigkeit, eine Bestellung zu ermöglichen. Ein Vertragsschluss durch Minderjährige ist daher zumeist generell möglich.
Rechtlich gesehen ist die damit verbundene Gefahr zwar begrenzt, da gemäß § 107 BGB der Vertragsschluss eines beschränkt geschäftsfähigen Minderjährigen von der Genehmigung durch seinen gesetzlichen Vertreter, also in der Regel den Eltern, abhängt. In der Praxis gestaltet sich dies jedoch oft nicht derart einfach, weil die Vertragspartner der Minderjährigen oftmals Probleme bereiten. So kommt es nicht selten vor, dass die Anbieter die oft juristisch unbedarften Eltern der Minderjährigen desinformieren oder mit Zahlungsaufforderungen derart unter Druck setzen, dass diese sich nicht wehren sondern den Forderungen Folge leisten.
Welche Altersgruppe der Minderjährigen ist besonders gefährdet für solche Vertragsabschlüsse?
Das kommt natürlich immer auf den Minderjährigen selbst an – und dessen Entwicklungsstand. Pauschal kann man das nicht sagen. Sobald der Minderjährige im Umgang mit dem Handy oder dem Internet firm ist, beginnt die Gefahr. Müsste ich mich auf eine Altersgruppe festlegen, würde ich die 14- bis 18-Jährigen am meisten gefährdet sehen.
Auf welche Anreize reagieren Minderjährige Ihrer Meinung nach besonders, wenn Sie solche Verträge abschließen?
Auf die Aufmachung der Angebote, deren Bewerbung und Akzeptanz bzw. Verbreitung bei anderen Menschen ihrer Altersstufe. Weniger kommt es auf die Qualität der angebotenen Leistung selbst an. Gerade die eigentlich sinnlosen Sachen sind es, die Minderjährige gern in Anspruch nehmen. Zudem wird auf die Kosten nur derart winzig hingewiesen, dass Minderjährige diese meist überhaupt nicht wahrnehmen.
In welchen Geschäftsbereichen finden Vertragsabschlüsse Minderjähriger im Internet ihrer Ansicht nach vornehmlich statt?
Nach meiner Erfahrung findet sich eine Anhäufung in den Bereichen, welche vor allem auf junge Menschen abzielen. Ich hatte bislang zumeist mit den Bereichen Online-Spiele und Handyverträge zu tun.
Welche Möglichkeiten sehen Sie, dem Problem eines Vertragsabschlusses von Minderjährigen im Internet vorzubeugen? Welche Schutzmöglichkeiten gibt es für Minderjährige und deren Eltern?
Eine Möglichkeit wäre sicher die eingangs erwähnte Absicherung durch die Anbieter. Diese müssten Mechanismen verwenden, die zunächst einen Nachweis der Volljährigkeit oder Einwilligung der Eltern erforderlich machen würden. Jedoch würden solche Vorgehensweisen der Einfachheit des Onlinehandels zuwider laufen und werden daher einem, wohl unüberwindbaren, Akzeptanzproblem begegnen.
Eltern hätten auch die Möglichkeit diverse Websites über eine Firewall sperren zu lassen. Meist ist es jedoch so, dass sich die Kinder besser mit der Technik auskennen als die Eltern, sodass auch diese Möglichkeit unpraktikabel sein dürfte.
Letztlich kann man den Eltern wohl nur raten, ihre Kinder in gewissem Maße im Auge zu behalten, regelmäßig das Gespräch mit ihnen zu suchen und bei verdächtigen Rechnungen oder Kontobewegungen den zugehörigen Verträgen nicht zuzustimmen und notfalls Rechtsrat einzuholen. Da es sich bei Vertragsschlüssen über das Internet um Fernabsatzverträge handelt, besteht zudem, zumeist zeitlich begrenzt, auch die Möglichkeit den Vertragsschluss zu widerrufen.
An wen können sich betroffene Eltern wenden?
Entweder an eine Verbraucherzentrale oder an einen Rechtsanwalt.
Und wie können sich Eltern wehren, wenn es zum Ernstfall kommen sollte und eine Rechnung, von der sie nichts wissen bzw. wussten, fällig wird?
Die Eltern müssten ihre Zustimmung zum Vertrag verweigern und jegliche Zahlung ablehnen. Sollte bereits eine bestimmte Ware geliefert worden sein, wäre diese dem Anbieter zurückzugewähren, sofern das möglich ist.
Sind sich die Eltern unsicher, ob die Forderung berechtigt ist oder nicht, könnten sie diese zur Vermeidung weiterer Mahnkosten auch zunächst bezahlen und anschließend ggf. Rechtsrat einholen. Hierbei ist aber unbedingt darauf zu achten, seiner Zahlung den Hinweis beizufügen, dass diese „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ erfolgt. Zahlt man ohne diesen Hinweis, wird dies regelmäßig als Anerkenntnis ausgelegt werden. Die Zustimmung zum Vertragsschluss wäre dem inbegriffen.
medienbewusst.de bedankt sich bei Henning Lüdecke für das Interview und wünscht weiterhin viel Erfolg.
Lisa Schwinn
Bildquelle:
Henning Lüdecke