„Kinder, geht raus und spielt“. So in etwa könnte der Aufruf lauten, der auf dem Bildschirm des privaten Kindersenders Nick zu lesen sein wird. Fest steht, dass in diesem Sommer der Sender einen sendefreien Tag gestaltet. Es sei, so Vizepräsident Oliver Schablitzki „eine Anregung, was Kinder außer Fernsehen zu schauen noch machen können.“ Auf öffentlich-rechtlicher Seite begegnet man der Aktion mit Skepsis. Doch wirft sie Fragen auf: Sind Anregungen dieser Art überhaupt nötig? Sehen deutsche Kinder wirklich zu viel fern?
Nicht unbedingt, könnte die Antwort lauten. Denn der Studie ‘Fernsehreichweiten und Fernsehgewohnheiten im Jahr 2008’ von Zubayr und Gerhard zufolge setzt sich der rückläufige Trend des Fernsehens bei den jungen Bevölkerungsgruppen fort: Kinder von drei bis 13 Jahren sahen im Jahr 2008 im Durchschnitt eine Stunde und 26 Minuten fern, immerhin eine Minute weniger als im vorigen Jahr. „Diese Zahl“, so der Medienpädagoge Norbert Neuß, „bedeutet aber auch, dass, wenn zwei Kinder kein Fernsehen schauen, ein drittes dafür mehr als drei Stunden am Tag schauen würde.“ Es handelt sich in diesem Fall um den so genannten „Heavy-User“, die oft aus einem sozial benachteiligten Milieu stammen.
Dabei sei die wesentliche Ursache des Vielfernsehens nach Neuß die veränderte Umwelt des Kindes. Er ist der Meinung, dass Kinder heutzutage außerhalb der Medienwelt nur sehr begrenzte Aktivitätsmöglichkeiten hätten. Die Eltern trauten sich kaum, die Kinder im Freien ihre soziale Nahumgebung allein erkunden zu lassen. „Das unmittelbare Begreifen der Lebenswelt ist ihnen heute durch bestimmte gesellschaftliche Entwicklung erschwert.“ In sozial gesicherten Schichten überbrücken Kinder ihre freie Zeit oft durch organisierte Veranstaltungen wie Tanzkurse, Sportkurse oder Musikunterricht. Bei sozial benachteiligten Familien scheint dieser Ersatz oft zu fehlen: Die Kinder werden oft mit ihrem täglichen Fernsehkonsum allein gelassen. Aus der Forschung von Paus-Hasebrink geht zum Beispiel hervor, dass Kinder aus sozial benachteiligten Familien tendenziell länger und häufiger vor dem Fernseher sitzen als solche aus sozial gesichertem Elternhaus.
Die wesentliche Verantwortung, so Neuß, liegt bei den Eltern, die im Gegensatz zu Medien und Pädagogen unmittelbare Betreuung, Unterstützung und Kontrolle ausüben können. Es wird ihnen daher empfohlen, klare Fernsehregeln einzusetzen und nichtmediale Bildungsangebote auch innerhalb der vier Wände zu machen. Ein Teil von Medienerziehung sei, einerseits zu schauen, dass Kindern auch qualitätsvolle Medienangebote und andererseits Handlungsalternativen gegeben werden, sodass “natürlich auch in einer Wohnung irgendwo im fünften Stock man auch den Fernseher ausmachen kann und die Knete oder die Einbahnaufbau herausholen kann.”
Doch auch der Medienmarkt solle sich der Verantwortung nicht entziehen. Der öffentlich-rechtliche Kinderkanal sieht sich zwar nicht als Erzieher, aber als Unterstützer der Eltern: “Medienanbieter müssen Hilfestellung leisten, ebenso wie Pädagogen und die Politik. Wir erfüllen einen Programmauftrag und nehmen damit einen gesellschaftlichen Auftrag wahr“, so Geschäftsführer Steffen Kottkamp. Auch der Privatsender Nick gibt sich seiner Aufgabe bewusst. Nach Schablitzki sei Nicks Beitrag zur Erziehung zum einen eine „gute Programmerstellung mit Wissensvermittlung auf unterhaltsame Art.”
Zum anderen sollen den Kindern Anregungen zur gesunden Fernsehnutzung geben. Eine Form dieser Anregung wird die Aktion ‘Fernsehfreier Tag’ sein. Vizepräsident Schablitzki kommentiert: “Wir schalten für einen Tag das Fernsehen ab. Wir möchten den Kindern einfach nur symbolisch mit auf den Weg geben, probiert doch mal was anderes aus, wir geben euch die Chance, indem wir eure Lieblingsprogramme einfach mal für einen Tag nicht zeigen.”
Medienpädagoge Neuß äußert sein Bedenken. „Im Prinzip begrüße ich, wenn mal ein Angebot ausfällt und von Seiten des Senders darauf hingewiesen wird. Gleichwohl glaube ich, dass es auf Dauer keine sinnvolle Lösung ist. Es geht nicht um punktuelle Aktivitäten, sondern um ein dauerhaftes Bewusstsein, wie nutzen wir Medien?“ Für Steffen Kottkamp sei das Vorhaben “eine PR-Aktion, deren Sinn sich mir nicht wirklich erschließt. Falls es darum gehen soll, dass Kinder angeregt werden, auch mal rauszugehen, dann sage ich: Anregungen geben wir den Kindern seit Jahren und zwar durch sinnvolles Programm wie beispielsweise Löwenzahn und nicht durch Schwarzbild, oder was immer Nick dann senden wird.”
Ein Schwarzbild würde es nicht sein, das versichert der Vizepräsident von Nick. “Wir arbeiten gerade an einer Lösung, nach der auf dem Bildschirm klar wird, hier handelt es sich um eine Aktion.” Der genaue Tag steht noch nicht fest. Noch bemüht sich Nick um Kooperation mit Freizeitverbänden, die an diesem Tag besondere Aktivitäten für Kinder bereitstellen sollen.
Um den Verlust von Zuschauerquoten macht sich Schablitzki keine Sorgen. „Wenn wir eine Aktion wie diese planen, dann müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass die Vorteile, die sie uns bringt, auf der anderen Seite eben auch mal einen temporären Nachteil mit sich bringt.“
Vor vielen Jahren habe der Sender Nick in den USA eine ähnliche Aktion gestartet. Statt eines Quotenverlusts sei die Zuschauerzahl an dem Tag gestiegen. “Die Kinder waren so neugierig, ob das Nickelodeon wirklich durchzieht, dass sie die ganze Zeit vorm Fernseher gesessen haben.” Er zweifelt jedoch, dass so ein Phänomen in Deutschland auftreten würde.
Wie die Sendepause tatsächlich bei den Zuschauern ankommt, wird sich spätestens im Sommer herausstellen. Letztlich, so Schablitzki, sei es nur ein “komplett unpädagogischer” Anstoß. Weitere Aktionen werden in Zukunft eventuell auch mit anderen Partnersendern geplant. Dass das Thema über Fernsehkonsum weiterhin behandelt werden soll, meint auch Kottkamp: “Wir müssen gemeinsam uns dem Thema Medienpädagogik stellen. Nur im Zusammenspiel mit Eltern und Medienpädagogen können wir Medienanfänger auf die Medienwelt der Zukunft – auf Gefahren und Nutzen, Risiken und Chancen – schlussendlich auf einen kompetenten, sinnvollen und klugen Umgang mit Medien vorbereiten.”
Thuy Anh Nguyen
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