Sichtbar für alle?


Soziale Netzwerke sind heutzutage auch für Kinder kein fremdes Territorium mehr: sie schreiben Nachrichten, veröffentlichen Fotos und stöbern durch die Profile ihrer Freunde. „Die sogenannten „Social Networks“ – Internetplattformen, auf denen Nutzer eigene Profile erstellen und sich untereinander vernetzen können – sind ein oft diskutiertes Internetphänomen. Neben der Darstellung der eigenen Person dienen sie auch als Kommunikationsforen und liefern geschlossene Räume, in denen Randgruppen zu Wort kommen können.

Der Trend, das Internet zu Kommunikations- und Selbstdarstellungszwecken zu nutzen, beginnt laut KIM-Studie 2008 bereits ab dem 12. Lebensjahr. Insgesamt geben 19 Prozent der 8- bis 13-jährigen Nutzer an, sich mindestens einmal pro Woche auf Kommunikationsplattformen anzumelden.

Dr. Jan Schmidt, Wissenschaftlicher Referent für digitale interaktive Medien und politische Kommunikation am Hans-Bredow-Institut Hamburg, fand bei seiner Mitarbeit an der Studie „Heranwachsen mit dem Social Web“ heraus, warum Soziale Netzwerke eine so hohe Beliebtheit erfahren: „Den Menschen geht es vor allem um die Fragen „Wer bin ich?“, „Wo stehe ich in der Gesellschaft?“ und „Wie kann ich mich in meiner Welt orientieren?“ – fast alle Netzwerke sind nach einem Prinzip aufgebaut, das diese Bedürfnisse befriedigt.“

„SchülerVZ“ ist häufig die erste Antwort, die Kinder geben, wenn es darum geht, ihre Lieblingskommunikationsseite zu nennen. Deutschlands größtes Schülernetzwerk verzeichnet mittlerweile mehr als 5,5 Millionen Mitglieder und ist laut KIM- Studie zugleich auch die meistgenutzte Plattform der 12- bis 19-Jährigen. Durch sogenannte „Gruppen“ können dort Hobbys, Angewohnheiten oder Meinungen zum Ausdruck gebracht werden. Die Möglichkeit, sich darin in einem begrenzten Kreis über ein bestimmtes Thema auszutauschen, ist vielen Nutzern sehr wichtig.

Eine solche Gruppe mit großer Resonanz trägt den Titel „ I ♥ [liebe] Emo Style“  und wird von Fans der Musik- und Moderichtung „Emo“  genutzt. Die sogenannte Emoszene zeichnet sich vor allem durch ihren Kleidungsstil, die Musik des Genres „Emotional Hardcore“ und das Bekennen zu den eigenen Emotionen aus. Diese Emotionalität wird von Außenstehenden häufig mit Depressionen und Selbstverletzung gleichgesetzt, was innerhalb der Gesellschaft häufig zu Vorurteilen und Ablehnung führt.

Die 13-jährige Nina N. ordnet sich selbst seit mehreren Jahren der Emoszene zu und bestätigt, dass beispielsweise das „Ritzen“ – das selbständige Hinzufügen von Schnittwunden – eine Tätigkeit sei, die fälschlicherweise mit fast allen Emofans verbunden werden würde. Die Schülerin erklärt: „Nur weil wir unsere Gefühle oft zeigen, heißt das nicht, dass wir depressiv sind. Emotionen können auch positiv sein.“ Innerhalb der Gruppe kann offen über Probleme und Erfahrungen berichtet werden, da Themen nur für andere Gruppenmitglieder sichtbar sind. Auch Nina schätzt die Intimität der Community: „Die Gruppe ist für mich ein Ersatz für die “Emotreffen”. Es ist gut, mit anderen aus der Emoszene zu kommunizieren, um nicht völlig auf mich allein gestellt zu sein.“

Netzwerke für die Kompensation sozialer Probleme zu nutzen, ist ein Handlungsmotiv, das auch in der Studie „Heranwachsen mit dem Social Web“ festgestellt werden konnte. „Nutzer finden im Internet geschützte Räume, in denen sie sich in ihrer Identität bestätigt und gleichberechtigt fühlen. Diese Möglichkeit ist auch für Migranten oder Subkulturen sehr attraktiv“, bestätigt Schmidt.

Anders als in herkömmlichen Chats wird auf Plattformen wie SchuelerVZ der eigene Name verwendet. Auch persönliche Daten wie Alter, Interessen oder die eigene Adresse können angegeben werden. Philippe Gröschel, Jugendschutzbeauftragter im SchuelerVZ, bestätigt, wie wichtig es ist, sich auch der Risiken bewusst zu werden: „Sicherheit, Datenschutz und Aufklärung sind uns von Anfang an sehr wichtig gewesen und in den letzten Jahren zu den Schwerpunkten unserer Arbeit geworden. Es werden deshalb zahlreiche Kampagnen und technische Verbesserungen entwickelt.“

So ermöglicht es beispielsweise die Privacy-Option, dass Daten nur beschränkt eingesehen werden können. „Die Nutzer werden auch nach der Anmeldung immer wieder darauf hingewiesen, worauf sie beim Veröffentlichen von Daten oder Bildern achten müssen, doch auch die besten Sicherheitsinformationen können das persönliche Gespräch nicht ersetzen“, bestätigt Groeschel. Um dies zu unterstützen, befinden sich auf der Plattform Informationsmaterialien für Eltern und Lehrer, die laut Groeschel bereits mehr als 1000 Mal im Monat herunter geladen werden.

Neben Ratschlägen und Informationsmaterial bleibt das selbstständige Nutzen des Internets dennoch die beste Möglichkeit, um zu lernen, verantwortungsbewusst damit umzugehen. Dr. Jan Schmidt bestätigt außerdem die Notwendigkeit, aus eigenen Fehler zu lernen: „Die Risiken und Potentiale von Sozialen Netzwerken werden den Nutzern häufig erst dann bewusst, wenn sie selbst gemerkt haben wo sich die Grenzen befinden. Das ist gut so, denn Kompetenz wächst mit dem Tun.“

Jana Wendig

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