Das Webportal Knuddels existiert bereits seit 1999 und gehört heute mit mehr als 4,8 Millionen registrierten Mitgliedern zu den größten Community-Portalen Deutschlands. Die Ergebnisse der Studie „Jugend, Information, (Multi-)Media“ (JIM-Studie) aus dem Jahr 2008 bestätigen seine führende Position – mit 28 Prozent ist Knuddels der am häufigsten genutzte Chatroom bei den 12- bis 19-Jährigen. Dabei scheint das Belohnungssystem, welches Knuddels von anderen Anbietern unterscheidet, eine besondere Rolle zu spielen. Manche der jungen Chatter wissen, dass in ihrer hohen Nutzungsdauer auch Suchtpotential bestehen kann.
Bunte Farben, ein spielerisches Design und kleine runde Wesen – die „Knuddels“ – sind Markenzeichen der beliebten Internetseite. Den Nutzer erwartet nach der Anmeldung eine Vielzahl an Möglichkeiten, die den Rahmen herkömmlicher Portale sprengen: hunderte Chatrooms, deren Themen von Hobbys, Alter oder Herkunft, über Tiere und TV-Sendungen reichen, eine eigene Homepage, Onlinespiele und ein wohl einmaliges Belohnungssystem für Vielchatter. Wer sich erst einmal im „Knuddels-Kosmos“ zurecht gefunden hat, sieht daher scheinbar wenig Gründe, wieder aufzuhören.
Auch die 16-jährige Julia ist ein angemeldetes Mitglied und kennt sich bei Knuddels bestens aus: Mehr als 65.000 Minuten hat sie bereits unter ihrem Nicknamen, ihrem Pseudonym, dort verbracht. Von sich selbst sagt die Berlinerin, dass sie manchmal sogar den ganzen Tag online sei. Die Versuchung ist groß, denn Ablenkung findet man hier immer. Aufgaben können leicht vergessen, freie Zeit gefüllt und Absprachen über den Chat getroffen werden. Noch besorgniserregender als diese regelmäßige Ablenkung ist jedoch die Gefahr suchtähnlichen Verhaltens. „Knuddels macht auf jeden Fall süchtig“, bestätigt Julia selbst. „Ich habe mal versucht, einen Tag nicht online zu gehen. Aber man hat einfach das Gefühl, zu viel zu verpassen.“
Einer der besonderen Anreize ist das Belohnungssystem, dass es den Nutzern ermöglicht, sich weiterzuentwickeln, in der Hierachie aufzusteigen und das eigene Profil mit neuen Zusätzen zu schmücken. Besonders unter jüngeren Surfern entsteht so ein ständiger Wettkampf um die meisten Spielerpunkte, Rosen, Knutschflecke oder Knuddels. „Natürlich ist mir wichtig, besser als die anderen zu sein – das will doch jeder!“ So der 12-jährige Ferhat. „Ich spiele auch sehr gern das Spiel „Fifty!“ – dabei kann ich noch mehr Knuddels für mein Profil gewinnen.“
Doch nicht nur Punkte sind auf den Profilen vermerkt, sondern auch persönliche Informationen wie Name, Alter, Wohnort oder Hobbys. „Mir ist es wichtig, dass auf meinem Profil viele Sachen stehen, damit die Leute mehr über mich wissen. Das mag ich so. Wenn ich eine Person seit zwei bis vier Wochen kenne, dann würde ich fast alles von mir erzählen“, gibt Ferhat offen zu und ist damit kein Einzelfall. Laut Ergebnissen der JIM-Studie geben mehr als 13 Prozent in Chatgesprächen ihre persönlichen Daten preis.
Obwohl Ferhat so leichtsinnig mit seinen Personalien umgeht, scheint er sich der Gefahren dennoch bewusst zu sein: „Knuddels ist nicht sicher, denn man weiß nie genau, mit wem man spricht und da muss man vorsichtig sein. Ich habe mich auch noch nie mit einer Chatbekanntschaft getroffen.“ Damit gehört er zwar zur wachsenden Mehrheit, aber trotzdem bleiben noch immer besorgniserregende 20 Prozent, die sich schon einmal mit einem online getroffenen „Freund“ verabredet haben. Julia hingegen weiß um das Risiko der sogenannten Blinddates, schließt sie generell jedoch nicht aus: „Ich weiß, dass ein Risiko immer bleibt, aber wenn ich mich mit Chattern getroffen habe, dann waren das andere Channelmoderatoren und auf die kann man sich verlassen“, erklärt die Schülerin und verlässt sich damit auf einen vermeidlich autoritären Posten.
Der Channelmoderator (CM) ist ein gewähltes Amt, das nur engagierte und beliebte Nutzer erreichen können. Dieser Rang wird im Profil vermerkt, ermöglicht zusätzliche Funktionen und gibt den CMs die Aufgabe, in ihren jeweiligen Räumen darauf zu achten, dass die Verhaltensregeln eingehalten werden. Auch wenn theoretisch jeder diesen Posten erhalten könnte, werden die Channelmoderatoren meist als Vertrauenspersonen angesehen. „CM zu sein, nehme ich sehr ernst. Es ist eine Verantwortung“, betont die 16-jährige Schülerin. Diese Verantwortung reiche sogar so weit, dass sie sich verpflichtet fühle, täglich online und ansprechbar zu sein. Im echten Leben, in Chatkreisen oft als „RealLife“ (RL) bezeichnet, bleibt Julia solchen Aufgaben jedoch lieber fern. „Im Chat kann ich anders sein als im RL“, erzählt sie voller Freude. „Sonst bin ich eher schüchtern, aber hier sage ich, wo es lang geht und kann durchgreifen, wenn sich jemand falsch verhält.“
Knuddels hat den jugendlichen Wunsch nach einer neuen Persönlichkeit erkannt und dafür und eine Welt kreiert, in der jeder seinen Platz selbst definieren kann. Gerade für Kinder mag sie wie ein großer Spielplatz wirken, auf dem sie sich unterhalten und beweisen können. Dazu passend, ein Gefühl von Zugehörigkeit und Sicherheit durch die große Gemeinde und die Moderatoren. Den Gefahren solcher Chatwelten sollten sich Eltern jedoch bewusst werden. Zu oft werden Internetaktivitäten als harmloses Spielen deklariert, ohne überhaupt zu wissen, auf welchen Seiten sich das eigene Kind bewegt. „Obwohl ich täglich mindestens vier Stunden bei Knuddels online bin, wissen meine Eltern nicht, was Knuddels ist, oder was ich da eigentlich mache“, bestätigt Ferhat.
Wie lassen sich vier Stunden Internet am Tag nun einstufen? Ist von Gefährdung oder gar von Sucht zu sprechen? Hier teilen sich die Meinungen der Forscher. Ein Beispiel: Im Jahr 1999, als Knuddels online ging, unternahm die Humboldt-Universitat zu Berlin eine dreimonatige Online-Studie. Von 14.208 Teilnehmern wurden 7 Prozent als gefährdet und 3 als süchtig eingestuft. Das Forscherteam ging für Gefährdung von einem Wert von etwa 28 und für Sucht von 34 Stunden Nutzungsdauer pro Woche aus. Ferhat wäre demnach knapp an der Grenze zur Gefährdung. Das Informationsportal heise.de meldete dieses Jahr hingegen unter Berufung auf andere Medien, dass Internetsucht immer noch ein seltenes Phänomen sei.
Knuddels erklärt auf der eigenen Jugendschutzseite, mit den 3.000 ehrenamtlichen Moderatoren – zu denen Julia gehört – den Besuchern Hilfe und Antworten auf dringende Fragen zur Verfügung zu stellen. Außerdem ist die Seite ordentliches Mitglied der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia, kurz FSM. Derartige Vorsichtsmaßnahmen zielen auf den Inhalt der Gespräche ab, jedoch nicht auf die Dauer. Gerade in der Schulzeit sehnen sich Schüler häufig nach einer schnellen Ablenkung von ihren Aufgaben, aber mitunter auch nach neuen Freunden, mehr Aufmerksamkeit oder Anerkennung. Der Anreiz des Internets, Anonymität und Unverbindlichkeit zu bieten, kann dann ein entscheidender Grund sein, um sich anzumelden. Im selben Maße ist es weniger wahrscheinlich, dass die Kinder von selbst um die ernsten Gefahren einer Welt wissen, die sich ihnen verlockend froh und einfach präsentiert.
Jana Wendig
Quellen:
http://www.mpfs.de/index.php?id=117
André Hahn, Anja Niesing, Andy Heer, Britta Hecht & Matthias Jerusalem (2000).Internetsucht – erste Ergebnisse der Pilotstudie. Kurzpräsentation der wichtigsten Ergebnisse der Pilotstudie mit zahlreichen Graphiken und kurzen Kommentaren auf einen Blick.
Diese Quelle ist unter http://internetsucht.de/publikationen.html abrufbar.
http://www.heise.de/newsticker/meldung/Studie-Internetsucht-bei-Jugendlichen-selten-188545.html
http://www.knuddels.de/protection/protection-index.html
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