Castingsendungen erfreuen sich in der heutigen Zeit größter Beliebtheit, auf fast allen Sendern werden diese Formate ausgestrahlt. Musikalisches Talent wird bei “Deutschland sucht den Superstar” (DSDS) gezeigt, die perfekte Figur hingegen bei “Germany’s Next Topmodel” (GNTM) und Talente in diversen anderen Disziplinen sind ab September wieder bei “Das Supertalent” zu bewundern – dann wird dem Zuschauer wieder viel Unterhaltung geboten. Doch wie sollen diese Formate rezipiert werden? Dr. Maya Götz, Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) und des PRIX JEUNESSE INTERNATIONAL, stand medienbewusst.de Rede und Antwort.
Frau Dr. Götz, wieso sind Castingsendungen sowohl bei Erwachsenen als auch bei Jugendlichen so beliebt?
Im Mittelpunkt steht der Gebrauchswert der Sendungen. Dieser ist jedoch sehr unterschiedlich. Zum einen dienen diese Sendungen dazu, um sich auszutauschen und über die Kandidaten zu lästern, beispielsweise auf dem Schulhof. Auch die persönliche Einschätzung über das Weiterkommen der Kandidaten kann damit überprüft werden.
Wie lässt sich dieser regelrechte Boom der Castingshows erklären?
Um diesen Trend der Castingshows zu erklären, muss die gesamtgesellschaftliche Perspektive betrachtet werden. In den großen Jugendstudien wies zunächst vieles auf einen Wertewandel hin. Jugendliche schienen in den letzten 15 Jahren tendenziell konservativer zu werden. Sie sind eher auf Sicherheit bedacht, wünschen sich Haus, Familie und Markenkleidung. Mittlerweile ist deutlich, dass dies durch Zukunftsängste getrieben ist. Sie machen sich Gedanken darüber, ob sie jemals den sozialen Status der Eltern überhaupt noch erreichen werden und ob sie auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen können. Die Castingsendungen geben dabei eine Orientierung für die Zukunft.
Sie haben gerade von der Orientierung gesprochen. Bei DSDS wird am Ende ein Superstar gekrönt, der aber nach der Finalshow schnell wieder in Vergessenheit geraten kann. Inwiefern wird durch diese Sendungen ein falsches Bild vermittelt?
Die Jugendlichen wissen, dass sie nach Sendungen wie DSDS nicht zwangsläufig zum Superstar werden. Es geht ihnen vielmehr um das sich Hineinversetzen in die Kandidaten und Kandidatinnen und sie überlegen, wie sie selbst in dieser Situation reagiert hätten.
Sie haben Vorteile von Castingshows angesprochen. Welche Nachteile können sich dabei im Umkehrschluss für den Zuschauer ergeben?
Zum einen ist das Prinzip Castingshow ein “Erziehen zum Gehorsam”. Weiterkommt, wer sich an die Ansprüche und Urteile der Jury anpasst. Dabei gerät das kritische Hinterfragen in Vergessenheit, so werden Schönheitsideale beispielsweise einfach so übernommen – ohne jegliche Revolte.
Das Castingformat DSDS wird von vielen Jugendlichen auch wegen der Kommentare von Dieter Bohlen angeschaut. Diese sind bei guten gesanglichen Performances positiv. Bei schlechteren Auftritten können die Bewertungen der Kandidaten aber sehr negativ, sogar beleidigend ausfallen. Inwiefern wirken sich diese Bewertungen auf den Alltag der Jugendlichen aus?
Hier wird eine Kultur der Abwertung zelebriert und damit auch weiter verfestigt. Es scheint normal und ehrlich, andere auch persönlich zu verletzen. Dies trifft sich mit einem ohnehin in der Peer-Gruppe verbal wenig achtsamen Umgang miteinander. Verletzende Bemerkungen, Ausgrenzung oder das “Fertigmachen” anderer, nur weil sie nicht in allen Punkten dem Mainstream oder dem eigenen Geschmack entsprechen, wird hier sozusagen öffentlich gerechtfertigt.
Abschließend möchten wir gerne noch wissen, wie Kinder und Jugendliche Castingsendungen rezipieren sollten?
Es ist wichtig, dass Medienkompetenz geschult wird. Dabei sollen diese Sendungen kritisch hinterfragt werden. Die Sendung zeigt immer nur kleine Ausschnitte des Auswahlverfahrens und typisiert die Menschen, zum Beispiel zu Hoffnungsträgern, also potentiellen Gewinnern, oder “Losern”. Ob die Redaktion einen Kandidaten zu einem Gewinnertyp oder einem Verlierer macht, kann schon anhand der Musik und der Bildgestaltung erkannt werden. Dies zu einem kleinen Ratespiel zu machen, hilft oft schon viel, um nicht alles, was das Fernsehen uns vormacht, einfach hinzunehmen.
medienbewusst.de bedankt sich bei Dr. Maya Götz für das Interview und wünscht weiterhin viel Erfolg.
Sophie Stange