Wenn Kinder Preise vergeben


Vom 12. bis 20. November fand das 23. Internationale Kinderfilmfestival in Österreich statt. Es wurden zahlreiche Filme für Kinder und Jugendliche von 4 bis 14 Jahren gezeigt und bewertet. Auch eine Kinderjury durfte bei der Preisvergabe mitbestimmen. Doch wie funktioniert so eine Kinderjury? Um das herauszufinden haben wir Michael Roth, Mitglied des Organisationsteams, einige Fragen gestellt.

Aus welchem Grund wurde das internationale Kinderfilmfestival ins Leben gerufen?

1989 organisierte das Votiv Kino in Zusammenarbeit mit den Wiener Festwochen unter dem Titel “Filme für kleine Menschen” ein Festival für das junge Publikum. Im Herbst folgte das Kosmos-Kino mit einer zweiten Veranstaltung unter dem Titel “Internationale Kinder- und Jugendfilmtage”.
Für beide Kinos war das Festival eine logische Fortsetzung ihrer Jahresarbeit, gleichzeitig hoffte man, einige der gezeigten Filme später ins Programm nehmen zu können. Und den Organisatoren war klar, dass der internationale Kinderfilm eine wichtige Stellung im Filmgeschehen eingenommen hatte, dass weltweit anspruchsvolle Filme zu anspruchsvollen Themen entstanden und dass diese Produktionen nicht immer einen deutschsprachigen Verleih finden würden. Im Rahmen des Festivals sollten diese Filme aber einem österreichischen Publikum gezeigt werden.
Gleichzeitig war beiden Veranstaltern bewusst, dass zwei so spezielle Festivals selbst in einer Großstadt wie Wien auf Dauer nicht parallel durchgeführt werden können. So entschloss man sich, die Kräfte zu bündeln und ein Festival in beiden Kinos zu organisieren. 1993 wurde das Festival unter seinem jetzigen Titel “Internationales Kinderfilmfestival” durchgeführt.

Die erschienenen Filmkritiken und viele der Preise beruhen auf dem Urteil der Kinderjury. Kann sich jedes Kind dafür bewerben oder gibt es Bedingungen, die ein Kind erfüllen muss um ein Teil dieses Projektes zu werden?

Die Kinderjury war seit Beginn des Festivals ein fester Bestandteil der Veranstaltung. Bewerbungen für die Jury des kommenden Jahres sind nur während des laufenden Festivals möglich – die Jurymitglieder müssen also das Festival besucht haben und kennen. Die Kinder müssen zwischen 11 und 13 Jahre alt und bereit sein, während des Festivals alle Nachmittagsvorstellungen und die Vormittagsvorstellungen am ersten Wochenende zu besuchen und nach den Vorstellungen mindestens eine Dreiviertelstunde über die Filme zu sprechen. Kinder, die sich während eines Festivals für die Jury des nächsten Jahres interessieren, können sich in eine Liste eintragen. Im September findet die endgültige Auswahl statt und im Oktober werden die Jurymitglieder zu einem ersten Kennenlern-Treffen eingeladen. Bis zum Beginn des Festivals finden weitere zwei Treffen statt, bei denen die Kinder auch Grundbegriffe der Filmsprache kennenlernen und üben, einen Bewertungsbogen für die gezeigten Filme auszufüllen.

Welche Hilfen erhalten die Kinder beim schreiben ihrer Kritiken?

Die Kritiken werden nicht von den Kindern selbst geschrieben, sondern sind die schriftliche Zusammenfassung der Diskussion nach dem Film – die verschiedenen Meinungen zu den unterschiedlichen Aspekten des jeweiligen Films werden von den beiden Betreuerinnen zusammengefasst und spiegeln so die Meinungen der Kinder sehr genau wider.

Aus wie vielen Bewerbungen mussten Sie die letztendlich gezeigten Kinder- und Jugendfilme auswählen?

Für das Hauptprogramm des Festivals 2011 (11 Filme) konnten wir aus über 60 Produktionen auswählen. Allerdings stehen die ProduzentInnen nicht Schlange, um ihre Film in Wien präsentieren zu dürfen. Die Sichtung für das Festival beginnt üblicherweise im Februar auf der Berlinale. Der Filmmarkt in Cannes ist dann die zweite Gelegenheit für unsere Selektion. Dazu kommen fallweise weitere Festivalbesuche, Tipps von anderen Festivals oder, eher selten, Filmeinreichungen von Produktionsfirmen oder Weltvertrieben. Das Team muss sich in der Einschätzung des Films weitgehend einig sein. Es wird also über jeden Film diskutiert und letztendlich abgestimmt.

Nach welchen Kriterien sind Sie dabei vorgegangen?

Hauptkriterium für unsere Auswahl ist die Qualität der Filme: Die gezeigten Produktionen müssen gut gemacht sein. Weiterhin müssen die Filme Geschichten erzählen, die für das Zielpublikum interessant sind – Geschichten, die die Lebenswelt des Publikums widerspiegeln oder eine Ahnung davon geben, wie Kinder in anderen Ländern leben. Dann sollen die ausgewählten Filme die Seh- und Rezeptionsgewohnheiten des Zielpublikums berücksichtigen. Eine Geschichte für Kinder im Volksschulalter (Vergleichbar mit der deutschen Grundschule – Anm. d. Red.) sollte auch so gestaltet sein, dass die Kinder der Handlung folgen können. Filme für Kinder ab 9 oder 10 Jahren können formal avancierter sein und ihre Geschichten teilweise auch in Rückblenden oder komplexeren Montagefolgen erzählen.

Die Filme orientieren sich an ganz unterschiedlichen Themen, die im Leben eines Kindes eine wichtige Rolle spielen. Gibt es einen Film der Ihrer Meinung nach einen Bezug zu einem besonders bedeutsamen und aktuellem Problem im Leben der Kinder heute aufweist?

Oft werden Themenschwerpunkte eines Festivals erst nach der abgeschlossenen Auswahl deutlich. So fiel mir in diesem Jahr auf, dass wir ganz unbewusst die Themen “Liebe”, “Identitätssuche”, “Mobbing” und “Geschlechterrollen” mit unserem Programm in den Vordergrund rückten. Besonders berührt hat nicht nur mich, sondern auch unser Publikum der Film Wie man unsterblich wird. Es gehört viel Mut dazu, einen Film über das Sterben für ein junges Publikum zu machen und es gehört besonders viel Einfühlungsvermögen und inszenatorisches Geschick dazu, das Publikum nicht in Tränen aufgelöst oder restlos deprimiert aus dem Film zu entlassen, sondern im Grunde genommen heiter und mit dem Leben versöhnt. Der Preis der Kinderjury für diesen Film hat mich besonders gefreut, obwohl ich diesen Preis jedem Film gegönnt hätte.


"Wie man unsterblich wird"


Was wünschen Sie sich für das internationale Kinderfilmfestival im nächsten Jahr?

Viele schöne Filme und ein ebenso begeistertes und begeisterungsfähiges Publikum wie in den vergangenen Jahren.
Noch mehr Anerkennung durch die Öffentlichkeit, so etwa die Einsicht möglichst vieler FilmkritikerInnen, dass Kinderfilme nicht “kindisch” sind, sondern hohe Kunst für das Zielpublikum und die Erwachsenen, die mit den Kindern/Enkeln ins Kino gehen.


medienbewusst.de bedankt sich bei Michael Roth für das Interview und wünscht viel Erfolg für die Zukunft.

Sissy Neumann

Bildquelle:
© Internationales Kinderfilmfestival