Der verzerrte Kinderkörper


Unnatürlich dürr, eine Wespentaille „durch die kaum noch ein Rückgrat passt“ und Beine, die im Verhältnis zum restlichen Körper so lang sind, dass sie eigentlich jeder anatomischen Logik widersprechen. Viele Zeichentrickserien im Fernsehen bedienen Rollenklischees und zeigen das stereotype Bild des superschlanken, hübschen Mädchens. Das ist eines der Ergebnisse der weltweit größten Medienanalyse (2008) des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI), in der die Körperproportionen von insgesamt 102 Mädchen- und Frauenfiguren in 24 Ländern untersucht wurden.

Ganz anders hingegen ist die Wahrnehmung bei der Zielgruppe. Bei ihren überwiegend jungen ZuschauerInnen gelten die Trickfiguren meist als clever, erfolgreich und cool. Sie tragen fast immer körperbetonte Kleidung, oft bauchfrei und werden von Jungs umschwärmt. “Kim Possible”, “Bratz” oder “Winx Club” heißen die Lieblingsserien der Mädchen und stellen drei besonders auffällige Beispiele dafür dar, wie verzerrt das Körperbild in Zeichentrickserien heutzutage ist. Sie geben damit einen Trend vor, kennzeichnen zugleich jedoch auch die zunehmende Sexualisierung der TV-Figuren im Programm.

In heutigen Zeichentrickserien besäßen zwei von drei untersuchten Figuren ein so „übertrieben sexualisiertes weibliches Körperbild“, dass dieses „nur durch operative Eingriffe und einhergehend mit gesundheitlichen Schäden zu erreichen wäre“, beobachtete IZI-Leiterin Maya Götz. Kein ganz unbekanntes Phänomen. Auch die Barbie-Puppe oder Trickfiguren aus alten Disney-Klassikern hätten schon früher ein sexualisiertes Bild der animierten Zeichentrickfrau vermittelt. Doch gerade dies fördere eine „Hypersexualisierung“ und „stülpe“ schon Vorschulkindern im Alter von vier bis fünf Jahren eine Form von „Erwachsenensexualität“ über, die diese schlicht und ergreifend überfordere, erklärt Götz. Ein dauerhafter und regelmäßiger Konsum führe bei Kindern so zu verzerrten Erwartungen und Vorstellungen von einem normalen Frauenkörper. Wäre es dann also nicht nur konsequent und sinnvoll, wenn es bei allen Sendern eine Art Auswahlverfahren gäbe, in welchem die Proportionen der gezeigten Figuren als Kriterium eine Rolle spielten?

Auf Nachfrage erklärte Nelly Speck, Assistentin Marketing und Kommunikation beim KI.KA, dass es bei den öffentlich-rechtlichen Sendern keine Kriterien gäbe, „wonach Zeichentrickfiguren bestimmten körperlichen Proportionen entsprechen sollen oder müssen“ und begründet dies mit der starken „Heterogenität“ der Zielgruppe, aber auch mit „Genreerfordernissen, die unterschiedliches Charakter-Design mit sich bringen“. In ähnlicher Weise antwortete auch Karen Mitrega, Leiterin der Redaktion Daytime bei SuperRTL, und erklärte, dass die Darstellung unrealistischer Proportionen in der Animation ein häufiges Stilmittel sei, welches wiederum bei beiden Geschlechtern gleichermaßen Anwendung finde. Sie kommt zu dem Schluss: „[…] es gelten zumeist andere Gesetze der Logik und Realität – dies können Kinder zumeist differenzieren“.

Dass vielen Kindern eben jene Fähigkeit zum genauen Differenzieren noch fehlt und sie daher besser geschützt werden müssen, zeige sich für Maya Götz schon daran, wie viele junge Männer mit überhöhten Erwartungen an erste Kontakte zum anderen Geschlecht herangingen, um in den meisten Fällen dann enttäuscht zu werden. Es sei eben ein „inneres Bild“, das sich mit der Zeit in den Kinderköpfen bilde, wonach Frauen beispielsweise mit dünner Taille und „mit wallender Mähne“ und Männer mit dem typischen „V-Kreuz“ ausgestattet sein müssten.

Auch nach zahlreichen, wenn auch kleinen Fortschritten, hält Götz eine schnelle oder radikale Veränderung der Fernsehlandschaft in den nächsten Jahren für unwahrscheinlich. Dazu würden zum einen zu viele Formate aus anderen Ländern eingekauft und zum anderen gäbe es dazu auch noch viel zu viele männliche Zeichner. Für die Pädagogin bleibe realistisch gesehen auf längere Zeit nur ein Ziel: So gut es eben geht ein Bewusstsein für diese Problematik zu schaffen. Bei den Verantwortlichen, aber vor allem beim Zuschauer.

Fabian Zeitler

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